Aus Fehlern lernen: Warum eigentlich ist die DDR gescheitert? Im Grunde genommen war es doch eine gute Idee, die Organisation eines Staates mal anders aufzuziehen. Anders meint: nach solidarischen Prinzipien. Mit umfassender sozialer Absicherung, und darauf achtend, dass keine anderen Völker dabei ausgebeutet werden. Wenn ich so darüber nachdenke, muss ich sagen: Die Idee war doch gut.
Beim Lesen des Buches von Andert und Herzberg, in dem Erich Honecker kurz vor seinem Tode nochmal lange und ausführlich interviewt wurde, werden mir jedoch einige Dinge klar, die das Scheitern vielleicht erklären können:
1. Zum einen wurde in der DDR nicht sonderlich aufs Individuum geachtet. Es wurde ein System erschaffen, das für alle Menschen gleichermaßen gelten sollte. Sowas kann nicht funktionieren. Wenn allen z.B. gleichermaßen 99kg Fleisch pro Jahr zusteht, wird überhaupt nicht berücksichtigt, dass wir alle unterschiedliche Bedürfnisse haben. Vielleicht gibt es ja Menschen, die kein Fleisch essen wollen oder können. Mit solchen Feinheiten kann sich ein System, das top-down plant, nicht herumschlagen.
2. Wenn das Politbüro sich ernsthaft mit der Frage, dass es in der DDR keine Schlüpfer gibt, beschäftigt, kann irgendwo was Grundlegendes nicht stimmen. Die Führung eines Landes sollte sich generell nicht mit solchen Details herumschlagen müssen. Ihre Aufgabe ist es, Orientierung zu geben, Beziehungen zu klären und Rahmenbedingungen zu setzen, die Spielräume öffnen.
3. Ich halte es nicht für ratsam, das Konzept für eine Organisationsform (sei es nun ein Staat oder eine Institution, oder was auch immer) vollständig auf nur eine einzige Theorie aufzubauen. Klar, mag schon sein, dass Leute wie Marx gute Ansätze hatten. Aber nur darauf dann eine ganze Staatsorganisation fußen zu lassen, ist wohl keine gute Idee. Marx war auch ein Mensch, der mit Wasser gekocht hat und zum Kacken aufs Klo gegangen ist. Damit meine ich: Wenn Du eine Organisation aufbauen willst, nimm um Gottes willen verschiedene gute Theorien, verkreuze sie wechselseitig miteinander zu etwas Eigenem und bau darauf Deine Organisationsform auf. Ein Netz hält einfach besser als eine einzelne Speerspitze, auf der man zu balancieren versucht.
4. Ich glaube, die Führung eines Landes (oder einer Schule, einer Institution, einer Gemeinde usw.) sollte emotional empfindsam sein, sollte in enger Fühlung mit ihrem eigenen inneren Erleben stehen können. Honecker war, genauso die meisten anderen der DDR-Führung auch, noch ein Politiker der alten Art. Das meint: Er rationalisiert und abstrahiert alles von sich selbst weg. Ich habe kaum je ein Interview gelesen, in dem so viele Substantive und so wenige Verben vorkommen. Ich glaube, viele Männer waren früher so. Besonders die, die Macht hatten. Sie hatten genau deswegen Macht, weil sie sich von sich selbst innerlich abschnürten. Ich glaube jedoch, dass dies in einer komplexen Welt, wie der heutigen, nicht mehr funktioniert. Wir brauchen heute Führende, die ihre eigene Verwundbarkeit zulassen, um den Todesstern nachhaltig zu verändern.
5. Die Führenden der DDR haben den Menschen nicht richtig zugehört. Zwar betont Honecker immer wieder, dass er ja Reformen vorhatte, und dass er einfach nur zu langsam war. Ich glaube, wenn er wirklich hin gehört hätte, hätte er bemerkt, dass da mehr passieren muss, als nur ein paar Absichtserklärungen und leere Phrasen a la “Vorwärts immer, rückwärts nimmer.” So stur und starrsinnig geht es einfach nicht. Vielleicht war er dafür aber einfach auch zu alt und zu krank. Das hätte er vermutlich in seinem Alter nicht mehr gepackt und hat einfach Selbstsorge betrieben (auch Ministerpräsidenten von sozialistischen Rundumversorgerländern können Burnout haben). Er hätte einfach Loslassen sollen.
Wie lässt sich die Idee einer fairen Führungsform umsetzen? Eigentlich kann man diese fünf Punkte 1:1 umdrehen. Dann wird ein Schuh daraus, in dem man gemeinsam laufen kann.
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